Aernen Barock – Der Friede sei mit Dir

Es schweben Engel durch das Kirchenschiff, wenn Stephan MacLeod seine warme, tragende Bass-Stimme erhebt und die Bach-Kantate «Der Friede sei mit Dir» aus voller Brust vorträgt und man bei der Arie «Welt, ade, ich bin dein müde» durchaus an den Zustand der heutigen Welt denken kann.

Es erfasst einen mit Innigkeit, Trauer und Hoffnung zugleich. Und am Schluss des Konzerts ein weiterer emotionaler Nachschlag mit der Kantate «Ich habe genug», in Leipzig uraufgeführt am 2. Februar 1727. Die Kantate für Bass, Oboe, Streicher und Basso continuo ist vermutlich die am häufigsten aufgeführte Kantate von Johann Sebastian Bach. Ein Ereignis.

Und zwischendurch zwei Mal Georg Philipp Telemann, damals der viel berühmtere Zeitgenosse als Bach, der die Ouvertüre a-Moll für Blockflöte, Streicher und Basso continuo komponierte, ein 7teiliges Werk, das vom Flötisten wirklich alles abverlangt, was er zu bieten hat. Der Virtuose Benny Aghassi stand vorne am Podest und benötigte kein einziges Notenblatt. Es war atemberaubend. Zusammen mit Xenia Löffler kam er nochmals zum Einsatz mit der Sonate Nr. 1 F-Dur für zwei Blockflöten (TWV 40:101). Rauschender Applaus und zufriedene Konzertbesuchende.

Das überschaubare Barockorchester, das uns seit Jahren mit seinem Können umgarnt, war ursprünglich eine Ad-hoc-Formation. Es sind hochprofessionelle Musikerinnen und Musiker aus aller Welt. Seit ein paar Jahren ist die lose Formation zu einem veritablen Ensemble mit eigenem Namen (Aernen Barock) zusammengewachsen, man erkennt jede und jeden, freut sich auf alle, wie eben auf Benny Aghassi, den Blockflöten-Dompteur aus Israel/Holland, die Cellistin Catherine Jones aus Australien/Italien mit dem schönen nachtblauen Abendkleid, der Brite Laurence Cummings am Cembalo und an der Orgel, an der Bratsche die fröhliche Deirdre Dowling aus Australien/Frankreich, die Zürcherin Monika Baer an der zweiten Violine mit immer wachem Kontakt zur ersten Geige, gespielt von der Amerikanerin Ada Pesch, die die ganze wunderbare Gruppe freundlich aber bestimmt anführt. Sie ist seit 30 Jahren Konzertmeisterin am Opernhaus in Zürich, und nach Ernen kommt sie sogar schon länger.

Jedes Konzert ist ein Leckerbissen: hier geht es ums Musizieren auf höchstem Niveau und es ist die Bescheidenheit, die alles durchdringt, dieses miteinander, dieses Sich-verstehen, das jedes Jahr von neuem beeindruckend ist. Und die Musikerinnen und Musiker kommen gerne nach Ernen, freuen sich, mehrere Auftritte am selben Ort zu haben, gehen an den freien Tagen auch mal wandern. Sie sind mit Freunden oder der Familie da, wohnen in Ferienwohnungen und gehen beim Volg einkaufen, mit der Geige oder dem Cello am Rücken, bevor es zur Probe in die Kirche geht. Es sind äusserst bereichernde Ferien, die man jeden Sommer hier in Ernen verbringen kann. Dies ist eine herzliche Empfehlung.

Ernen, 23. Juli 2022. Madeleine Hirsiger

Zurück