Die erquickende Leichtigkeit eines Streichquartetts
Behende steigen sie mit ihren Streichinstrumenten die Treppe in der Kirche zu Ernen hinunter: die drei Musikerinnen und der Musiker des Chiaroscuro Quartet. Zügig stellen sie sich vor ihre Notenständer, noch ein kleiner Check, ob das Tablet funktioniert – und los geht’s.
Stehend. Die Cellistin auf einem kleinen Podest sitzend, damit alle auf gleicher Augenhöhe sind. Und was die auf klassische Musik eingeschworene und sehr aufmerksame Gemeinde zu hören bekommt, ist aussergewöhnlich. Denn das Ensemble hat seinen eigenen Stil, hat sich der ganzen Palette der Klangfarben, der Tempi und der Klangstärke verschrieben. Hell und Dunkel eben, und alles was dazwischen ist. «Chiaroscuro» – ein Begriff aus der Malerei der Spätrenaissance und des Barock. Das Quartett lässt sich in keine Schublade zwängen, geht seit Jahren seinen eigenen Weg.
Und diese Freiheit der Interpretation, leidenschaftlich und ausgefeilt! Das Chiaroscuro Quartet setzt immer wieder neue Massstäbe, es sucht ganz undogmatisch nach idealen Interpretationen der Musik von Haydn, Beethoven und Co. Die reine Lehre, wie ein Werk zu klingen hat, gibt es sowieso nicht. Das Spiel der drei Musikerinnen und des Musikers ist von überwältigendem Erfolg gekrönt, weltweit.
Ja, es ist das Pianissimo, das unglaublich beeindruckend ist – man hätte in der Kirche eine Stecknadel fallen hören, so konzentriert war das Publikum. Man hat das Gefühl, man höre eigentlich nichts mehr, um dann umso kräftiger in ein Fortissimo überzugehen, wie eine Explosion – mit vollem Körpereinsatz. Das alles wird auch möglich wegen der gewonnenen Bewegungsfreiheit, weil man nicht wie angewurzelt auf einem Stuhl sitzt. Und diese Freude, den drei Streicherinnen Alina Ibragimova (Violine), Emilie Hörnlund (Viola) und Claire Thirion (Cello) zuzuschauen. Alina Ibragimova spielt mal fast in der Hocke wie eine Downhillracerin, mal zurückgelehnt, immer mit Passion und Konzentration. Feurig und hingebungsvoll ihr Spiel, gefolgt vom Geiger Pablo Hernán Benedí, der mit seiner Grösse und der stattlichen Statur die etwas kleinere Geige wie ein Spielzeug unter seinem Kinn hält. Beeindruckend zu sehen, wie die Finger der Cellistin bei schnellen Läufen wie eine Spinne über die Saiten rasen, wie sie ihr Instrument nicht mit dem Stachel auf den Boden stellt, sondern es frei mit ihren Beinen festhält, so wie es bis nach 1800 üblich war. Die Stimmung der Musik ist immer auch auf Claire Thirions Gesicht ablesbar, wenigstens wenn man vorne in der Kirche sitzt. Und hoch konzentriert und immer auf ihre Mitspielenden blickend – mal direkt, mal nur in den Augenwinkeln –, spielt Emilie Hörnlund wunderbar auf ihrer Bratsche.
Es ist ein eingespieltes Quartett, das seit 18 Jahren zusammen auftritt. Alle besuchten zur gleichen Zeit das Royal Collage of Music in London und verstanden sich auf Anhieb, so dass sie sich zum «Chiaroscuro Quartet» zusammenschlossen. Die ersten Werke für Streichquartett sind im Verlauf des 18. Jahrhunderts entstanden und erfreuen sich bis heute grosser Beliebtheit. Es waren die Komponisten Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert und Mendelsohn, die dieser Musik Schub verliehen haben.
Und das Chiaroscuro Quartet hat uns mir ihren alten, mit Darmsaiten bestückten Instrumenten und den historischen Bögen bezaubert und verwöhnt. Die drei Musikerinnen und der Musiker gaben uns Gelegenheit, frühere Werke mit späteren zu vergleichen und ernste Werke mit heiteren, in sieben Konzerten, die fast marathonmässig innerhalb von zweieinhalb Tagen in der Kirche von Ernen vorgetragen wurden.
Und noch ein Wort zum Outfit: das hell-dunkel war da offensichtlich auch ein Thema. Schwarze Hosen und für jedes Konzert wurde das Oberteil gewechselt, bestellt beim grossen japanischen Modedesigner Issey Miyake. Da strahlte einem ein himbeerrot entgegen, verschiedene Blautöne oder schlicht schwarz und weiss. Variantenreich und vergnügt. Höhepunkt war allerdings der Samstagabend. Da hatten die Damen ganz spezielle Kleider aus dem gleichen Stoff genäht und der Herr ein schwarzer Anzug mit farbigem Leibchen (siehe Titelfoto). Der Vorteil sei, meinten die Quartett-Mitglieder, diese Kleider müsse man eben nicht bügeln. Und nein, sie hätten leider keinen Kleider-Sponsor.
Was für ein «Kammermusik kompakt»-Programm, was für ein Anfang der 50. Musikwochen in Ernen.
Ernen, 4. Juli 2023, Madeleine Hirsiger
Den Musikerinnen und dem Musiker des Chiaroscuro Quartets hat es im idyllischen Musikdorf auch gefallen. Spontan haben sie zugesagt, die erneute Einladung für Anfang Juli 2025 anzunehmen!