Dreisamkeiten

Dynamische Interpretationen und filigranes Zusammenspiel: Das Trio Gaon gab im Rahmen von «Kammermusik kompakt» sein Debüt in Ernen und beeindruckte durch die Leichtigkeit, mit welcher es den Konzertmarathon zu einem Kaleidoskop an Klangwelten verwandelte.

Kammermusik kompakt. Sieben Konzerte in drei Tagen. Zwanzig Werke von vierzehn Komponist*innen. Fast zweihundertfünfzig Jahre umspannende Kompositionen. Im traditionsreichen Tellenhaus Ernen begeisterte das Trio Gaon durch sein dynamisches Kammermusizieren. «Gaon» ist koreanisch und bedeutet «Mittelpunkt der Welt» sowie «Wärme erschaffen». Die drei Musiker*innen – das sind die Geigerin Jehye Lee, der Cellist Samuel Lutzker sowie der Pianist Tae-Hyung Kim – schafften es mit ihrem packenden und kommunikativen Spiel, die warme Atmosphäre des Tellensaals so zu verdichten, dass ein einzigartiger Mittelpunkt der Welt entstehen konnte. Die gelungene Programmgestaltung liess eine grosse Diversität an musikalischen Stimmungen zu – es fehlte kaum ein wichtiger Name des Klaviertriorepertoires – wobei jedes der einstündigen Konzerte in sich konsistent war. Neben dem Schwerpunkt Beethoven–Mendelssohn–Brahms gab es je ein komplett französisches und ein russisches Konzert, während ein weiteres Trios von Joseph Haydn mit Pulses (2018), einem Werk des australischen Komponisten Paul Stanhope, sowie der Café Music von Paul Schoenfeld, kontrastierte.

Feurige Leidenschaft

Zum Auftakt erklang Beethovens Trio op. 1 Nr. 1, Es-Dur. Beethoven – die Visitenkarte eines jeden Kammermusikensembles: Es war klar, kernig und klangvoll und machte Vorfreude auf das Konzert am darauffolgenden Tag, welches mit op. 70 Nr. 1 und Nr. 2 ganz dem grossen Meister gewidmet war. «Wärme erschaffen» – das nahmen sich die drei Musikerpersönlichkeiten zu Herzen. Mit drei Duetten und dem Trio H-Dur von Johannes Brahms stieg die Temperatur an. Mit grösster Innigkeit füllten sie den intimen Tellensaal mit süssen Kantilenen und emotionsgeladenen Klanggebäuden, sodass die Holzdecke mitvibrierte. Offensichtlich fühlten sich die drei Ausnahmemusiker*innen in den Werken Beethovens und Brahms‘ besonders zuhause; der Programmschwerpunkt schien bewusst gewählt. Als krönender Abschluss der Konzertreihe brachte das klanggewaltige Trio c-Moll von Felix Mendelssohn, mit seiner ausschweifenden Melodik und feurigen Leidenschaft, nicht nur die Musiker*innen zum Schwitzen, sondern auch reichlich Blut im Publikum zum Kochen.

Entdeckungen

Zwischen Debussys Trio G-Dur – einem Jugendwerk, welches erst 1982 im Nachlass eines Schülers des Komponisten gefunden wurde – und dem allseits beliebten Trio a-Moll von Maurice Ravel konnte ein ganz besonderes Werk entdeckt werden: D’un matin de printemps, Lili Boulangers Erinnerungen an einen Frühlingsmorgen. Im Wissen, dass die schwer kranke junge Frau dieses einsätzige Trio während ihres letzten Lebensjahres schrieb, erscheint die kompromisslose Lebensfreude und ungetrübte Heiterkeit umso erstaunlicher. Wohltuend kontrastierte die sanfte Frische und Eleganz der französischen Musik die pralle Walliser Nachmittagssonne.
Mit filigraner Leichtigkeit bewegten sich die drei Musiker rund um die schlanken Klänge der frühen Haydn-Trios. Mal stolz – mal leichtfüssig; mal gesanglich – mal virtuos. Dazwischen die Rhythmen von Pulses, welche besonders subtile Interaktion der Interpret*innen verlangten und trotz schroffer Kraft ihre erfrischend klare Klangwelt doch nie gänzlich verliessen. Dass an einem Sonntagmittag der Mittelpunkt der Welt auch mal in einem verstaubten Café sein darf, dessen Stimmung Paul Schoenfeld in seiner Café Music eingefangen hat, liess bei so manchen Zuhörer*innen eine beschwingte Stimmung aufkommen. Die dynamische Interpretation des Trios, in welcher das nötige Quäntchen Selbstironie nicht fehlen durfte, bewies von Neuem die Qualität der drei Musiker*innen. Ihre technische Brillanz, gepaart mit jugendlicher Spielfreude liessen zu keinem Zeitpunkt den Eindruck entstehen, der Konzertmarathon werde zu einer «Tour de force», im Gegenteil: In jedem Konzert schafften sie es aufs Neue, das Publikum zu verzaubern und zu begeistern.

Ernen, 1. Juli 2019, von Jonathan Inniger

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