Offenbarungen in der Barockkirche beim Barockkonzert
Die Kirche in Ernen war sehr gut besetzt, als Co-Intendant Jonathan Inniger vor das Publikum trat, um das musikalische Programm vorzustellen. Es kommt aber immer wieder vor, dass in diesem Augenblick auch Verdankungen ausgesprochen werden, zum Beispiel an Sponsoren, Regierungsmitglieder oder Kulturgruppen, die für ein Konzert anreisen. Etwas ganz Besonderes ist es, wenn ein Musikliebhaber mit fast 102 Jahren immer noch im Publikum sitzt, begleitet von seiner Tochter, und immer wieder nach Ernen pilgert. Was für ein Treuebeweis! Nach einem erstaunten Raunen durch die Kirchenbänke, war Guenter Lewy (*1923) ein herzlicher Applaus sicher!
Dann ging es schon um den Barockkomponisten Claudio Monteverdi (1567–1643), der 1624 für den Karneval in Venedig das «Combattimento» als «madrigale guerriero» komponierte. Dabei geht es um den Kreuzritter Tancredi und die Muslimische Kämpferin Clorinda, die sich heimlich verlieben und sich dann eben doch duellieren. Das regte Monteverdis Fantasie offensichtlich an, die sich in bemerkenswerten Tonmalereien ausdrückte und die Kampfhandlungen musikalisch hörbar machte.
Es handelt sich fast um eine Mini-Oper, und dafür trat der polnische Tenor Krystian Adam auf den Plan. Er klärte uns erst einmal über seine frühere tiefe Abneigung zu Monteverdi auf, und darüber, wie er durch Zufälle sich dann doch für den Komponisten und seine Musik zu interessieren begann. Durch mehrere gewonnene Vorsing-Wettbewerbe rutschte er in die Musikwelt von Monteverdi hinein und wurde so schliesslich zu einem feurigen Interpreten von dessen Musik. Beim «Combattimento di Tancredi e Clorinda» hatte er gleich drei Rollen zu singen, denn zu den Hauptdarstellern kam noch ein Erzähler dazu. Das machte der Tenor mit grossem Engagement und es gelang ihm auch, dieses Drama entsprechend zu interpretieren.
Ein grosser Einsatz wartete auf die beiden Oboen-Spezialisten Xenia Löffler und Josep Domènech Lafont. Sie gaben alles, um uns zu verführen, was ihnen mit ihren ersten, warmen, virtuosen Tönen, die sie ihren Holzinstrumenten entlockten, sofort gelang. Auf dem Programm stand das Konzert D-Dur für zwei Oboen, Streicher und Basso Continuo von Giovanni Battista Sammartini (ca. 1700-1775). Nun ist dieser Komponist eine Offenbarung (auch musikalisch), denn er war bis vor kurzem einem breiteren Publikum kaum bekannt. Das Konzert D-Dur ist ein jüngst enthülltes Werk aus der Schweriner Musikaliensammlung der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern, von dem bisher weder Noten noch eine Aufnahme publiziert wurden. Dank den Programmgestalterinnen, die das Werk nach Ernen gebracht haben, erlebten wir etwas Aussergewöhnliches: was war das für eine erfüllende Entdeckung.
Und natürlich durfte an diesem Abend Antonio Vivaldi (1678–1741) nicht fehlen, einer der ganz grossen Barockkomponisten. Es war – wie seit Jahren – das Ensemble Aernen Barock, das uns mit weiteren typischen italienischen dreisätzigen Concerti zu guter Laune verhalf, mit seiner musikalischen Stilsicherheit und Spielfreude.
Es war einmal mehr ein lohnenswerter, abwechslungsreicher Musikabend in der Kirche St. Georg zu Ernen. Es werden weitere folgen.
Madeleine Hirsiger, Ernen, 30. Juli 2025