Bettina Böttinger und Madame Nielsen, Queerlesen 2019Bettina Böttinger und Madame Nielsen, Queerlesen 2019

Bettina Böttinger und Madame Nielsen, Queerlesen 2019

Schreiben hilft. Lesen auch!

Queerlesen 2023, 29.–30. Juli. Drei Lesungen mit Helene Hegemann, Dominik Barta und Simon Froehling. Moderiert von Bettina Böttinger.

Sie sind brandaktuell, die drei Bücher, die bei «Queerlesen» präsentiert werden. Und das Schönste: die zwei Autoren und eine Autorin, die sie geschrieben haben, sind persönlich da, um aus ihren Werken zu lesen und sich von der Moderatorin löchern zu lassen. Brennende Fragen dürfte es viele geben. Zum Beispiel, ob man als queerer Autor in einer Bubble lebt. Oder: Wie es sich anfühlt, für den Schweizer Buchpreis nominiert zu werden und dann ganz knapp doch nicht zu gewinnen. Simon Froehling hat genau das erlebt. Sein Roman «Dürrst» stand 2022 auf der Nominiertenliste. Um es gleich vorwegzunehmen, sein Roman ist nichts für schwache Nerven. Wenn Fröhling über seine Homosexualität schreibt und die bipolare Störung, die ihn in eine Lebenskrise stürzte, dann nimmt er kein Blatt vor den Mund. Es ist eine Höllenfahrt durchs eigene Ich, die er ausleuchtet. Erst nach mehreren Klinikaufenthalten fand er zum Schreiben zurück.

Höhenflüge, Abstürze
Doch ob «Dürrst» autobiografisch gelesen werden soll, diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Es gibt Übereinstimmungen mit der Biografie des Autors, dennoch ist das Buch als Roman gestaltet. Im Zentrum der Geschichte steht Andreas Durrer, der von seinen Freunden Dürrst genannt wird. Er wächst an der Zürcher Goldküste in einer grossbürgerlichen Umgebung auf, in der er mehr Streit als Liebe erfährt. Auf sein Schwulsein reagiert der Vater mit Empörung, die Mutter mit Hilflosigkeit. Dürrst fühlt sich fremd und unverstanden. Als er es nicht mehr aushält, bricht er aus dem goldenen Käfig aus, arbeitet fortan als Fotograf, Zeichner und Schreiber. Auf Reisen nach Athen, Kairo, Edinburgh und Berlin erlebt er Höhenflüge und Abstürze. Alles, was in seiner Familie tabuisiert wurde, zieht ihn magisch an: Im Exzess sucht er nach wahren Empfindungen.

Kann das gut kommen? Sie werden es in Ernen erfahren. Simon Froehling (*1978), Absolvent des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel, beherrscht sein Metier, das er auch auf anderen «Bühnen» auslebt. Neben seiner Tätigkeit als freier Autor und Übersetzer arbeitet er am Tanzhaus Zürich als Dramaturg und Kommunikator.

Mikrokosmos Miethaus
Vier Jahre jünger als Froehling ist Dominik Barta (*1982). Der gebürtige Österreicher, der in Wien, Bonn und Florenz studiert hat, reist mit seinem zweiten Roman nach Ernen. «Tür an Tür» erzählt von Kurt, einem homosexuellen Mann Anfang dreissig, der noch zuhause bei seinen Eltern lebt. Als er endlich eine Stelle als Lehrer findet, bezieht er in Wien eine kleine Wohnung in einem hellhörigen Mietshaus, das der Autor zum Schauplatz seines Romans macht. Kurt erlebt hier einen Mikrokosmos aus unterschiedlichen Individuen, Identitäten und Mentalitäten; und er erfährt, was Familie auch noch bedeuten kann, wenn von Tür zu Tür Freundschaften entstehen und manchmal etwas mehr…

Poesie der Eskalation
Die dritte und jüngste Autorin bei «Queerlesen» ist Helene Hegemann (*1992). Die deutsche Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Regisseurin, die mit ihrer Partnerin in Berlin lebt, wurde für ihren Debütroman «Axolotl Roadkill» hochgelobt. Wenig später sah sie sich mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Was war dran? Fragen Sie sie, wenn es Sie interessiert. Hegemann wird in Ernen sein. Da hat die Autorin aber bereits ihren Zweitling im Gepäck, «Schlachtensee», ein Band mit 14 Erzählungen. Was die Geschichten verbindet, ist der rebellierende Körper in einer fremden und feindlichen Welt. Der Körper ist die letzte Bastion, in die man sich zurückziehen kann. Oder die es zu verteidigen gilt. Hegemann beherrscht die Poesie der Eskalation. Die Figuren in «Schlachtensee» irrlichtern durch ein dunkles albtraumhaftes Universum aus Gewalt und Hoffnungslosigkeit. Da kann zuweilen sogar die Sprache wehtun. Nur so viel: Schreiben hilft aus vielen Nöten. Lesen auch.

Geschrieben im Dezember 2022, von Marianne Mühlemann

Hier geht es zu allen Lesungen von Queerlesen 2023

Möchten Sie noch mehr wissen? Lesen Sie unsere Blog-Einträge über vergangene Ausgaben von Queerlesen:

Mit dem Zug von Wien ins Musikdorf und zurück, August 2020, von Dominik Barta

«Nächster Halt Nobelpreisverleihung?», August 2022, von Andreas Zurbriggen

«Literarische Grenzüberschreitungen oder eine Hommage an Madame Nielsen und ihren endlosen Sommer», August 2019, von Jonathan Inniger

«Three fine authors read in 'Queerlesen'», Juli 2016, von Sarah Batschelet

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