Sopran trifft auf Chanson

Das war wieder mal ein Höhepunkt im Musikdorf Ernen, der noch lange in Erinnerung bleiben wird: der Auftritt des Charl du Plessis Trio aus Südafrika, zusammen mit der Sopranistin Rachel Harnisch aus Brig – mit internationaler Aura.

Es sind die drei gut gelaunten Herren, die den Abend in der St.-Georgs-Kirche eröffnen, mit dem unverzichtbaren, über allem stehenden Bach. Ein Menuett aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach wird klassisch begonnen, um dann in die Sphäre des Jazz zu wechseln, mühelos – ein Markenzeichen dieser kreativen Musiker.

Und noch während ihres Spiels schreitet Rachel Harnisch vom erhöhten Chor auf die Bühne hinab, königlich, im goldgelben langen Rock aus gestärktem Stoff, hinten länger als vorne, und einem blass-gelben ärmellosen Oberteil. Die schwarz glänzenden Haare straff nach hinten gekämmt. Ist sie von dieser Welt? Sie setzt sich an der Wand auf einen Stuhl, lauscht den Tönen, reiht sich dann ins Trio ein, mit einem Lied, nochmals aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach. Mit sichtbarer Konzentration auf das, was sie zu interpretieren hat, in sich gekehrt, alles rund herum ist inexistent, sie atmet durch, um dann die erste Note – diesen magischen ersten Ton – hell und klar in den Kirchenraum freizulassen. Es folgen reine, volle Klänge, wohlgeformt, hoch hinaus, jeder für sich ein Ereignis. Was für eine Innigkeit, die sich in den Worten: «Bist Du bei mir, geh ich mit Freuden» manifestiert. Dieses Abschiednehmen vom Leben in den Tod ist erschaudernd. Nach dem letzten Ton neigt sie den Kopf etwas nach hinten, himmelwärts, mit geschlossenen Augen – der Applaus kommt wohl etwas zu früh, sie ist noch nicht ganz zurück.

Und Rachel Harnisch nimmt sich mit ihrer Sopranstimme ohne Umschweife den Liedern von Kurt Weill an («Youkali», «Buddy On The Nightshift»), der aus Nazideutschland über Frankreich nach Amerika fliehen musste. Mit dezidiertem Gestaltungswillen interpretiert sie die Komposition «Je ne t’aime pas», in der eine Liebende, einen Liebenden verlassen wird und sich selbst davon zu überzeugen versucht, dass sie diesen nicht mehr liebe. Und dass das schmerzhaft ist, dieser Spagat zwischen dem «es-nicht-wahrhaben-wollen» und der Gewissheit, dass es so ist, vermittelt uns die Sopranistin musikalisch eindringlich. Trotzig und dezidiert wird uns am Schluss das «Je ne t’aime PAS» entgegengeschleudert.

Und während sich Rachel Harnisch in einen Nebenraum des Chors zurückzieht, hält uns das Trio mit Swing und Jazz bei Laune, zum Beispiel mit «Things Ain’t What They Used To Be» oder «It Happened In Monterey». Und dann ist sie wieder da, im schwarzen Trägerkleid, in der Mitte mit einer gestickten Bordüre versehen, bereit, um sich ganz dem Spatz von Paris zuzuwenden. Kann eine Sopranistin Edith-Piaf-Lieder singen? Ja, sie kann: mit einer Stimme, die mal vibriert, mal laut und leise, einfühlsam sanft und bestimmt sein kann. Und es tun sich musikalisch neue Dimensionen auf, wenn sie «La vie en rose» singt und den Abend mit «Padam padam» beschliesst, wo alle am liebsten den Refrain mitsingen würden, auf jeden Fall die ältere Generation. Mit tosendem Applaus hat das Publikum den drei Künstlern und der Künstlerin gedankt für den wunderbaren, eindrücklichen Musikabend in der Kirche zu Ernen, die bis auf den letzten Platz besetzt war.

Und da drängt sich doch ein «Rezept» auf: falls Sie eine schlechte Laune haben, übermüdet sind, weil Sie kaum geschlafen haben, Ärger im Büro haben, ja, wenn Sie sogar zu einer Depression neigen: so ein Abend bringt Sie zurück ins Leben, bietet ihnen Freude, Glück und Zuversicht. Leider müssen Sie nun ein Jahr lang auf diese Gelegenheit warten. Halten Sie durch.

Madeleine Hirsiger, Ernen, im August 2023

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