The Fabulous Three & More

Verrückt, umwerfend, bereichernd. In diesen Gefühlslagen wurden wir aus der 52. Konzertsaison in Ernen in die Realität entlassen. Es waren die Musikerinnen und Musiker, die uns im letzten Programm «Newcomers» umgarnt und erfreut haben. 

Zu diesem Erfolg hat nicht zuletzt die Engländerin Cheryl Frances-Hoad beigetragen, die als «Composer in Residence» ein paar Wochen in Ernen verbracht hatte, um sich von der atemberaubenden Umgebung zu Kompositionen inspirieren zu lassen. Und das hat sie getan – und wie! Mit dem Streichquartett «Ernen», das Anfang August in der Kirche höchst erfolgreich uraufgeführt wurde, gab sie uns einen Vorgeschmack auf das, was wir noch zu erwarten hatten.

Die in der Reihe «Newcomers» auftretenden Musikformationen haben auf Wunsch der Festivalleitung in ihre Programme frühere Kompositionen von Cheryl Frances-Hoad aufgenommen. Und diese Werke waren der Pfeffer in den jeweiligen Aufführungen und gaben viel an- und aufregenden Gesprächsstoff.

Den Auftakt im Tellensaal machte das Dora Piano Trio. Neben Haydn und Dora Pejačević, einer kroatisch-ungarischen Komponistin (1885–1923), die dem Trio den Namen gab, wurde das Stück «Melancholia» von Cheryl Frances-Hoad gespielt. Die damals 18-jährige liess sich vom gleichnamigen Gemälde von Edward Munch inspirieren, das einen Mann zeigt, der unter bedrohlich dunklem Himmel aufs Meer starrt. Das Bild hat sie in ausdruckstarke Melodien umgesetzt, innig, ja fast schmerzvoll und mit reichhaltigen Akkorden.

«The Prophecy»

Einen unglaublichen Auftritt legten einen Tag später der Pianist Dennis Linnik aus Belarus und der Cellist Vilém Vlček aus Prag hin, beide international schon eine Weile erfolgreich unterwegs. Sie begeisterten uns mit Leoš Janáček, Bohuslav Martinů und Edvard Grieg. Mit unglaublichem Engagement, musikalischem Feingefühl und präziser Intonation verzauberten sie das Publikum. Und als sie dann noch «The Prophecy» von Cheryl Frances-Hoad spielten, war es um uns geschehen. Dieses Stück hatte die heute 45-jährige Engländerin im zarten Alter von 17 Jahren komponiert, damals auf Anfrage eines Festivals.

Die beiden Musiker waren begeistert von der Reife und Tiefe dieser frühen Komposition und gaben zu, es sei ihnen schon kalt den Rücken runtergelaufen, als sie die Noten genau angeschaut hätten. Sie sahen im Inhalt eine fast verzweifelte Auseinandersetzung mit der Existenz des Menschen. Und der Anschein trügt nicht, dass sich die drei, die sich zum ersten Mal gesehen hatten, ausgezeichnet verstanden und wohl bald wieder miteinander zu tun haben werden.

Mit 27 Jahren schrieb die Engländerin das 10-minütige Stück «My Day in Hell», das vom «Moser String Quartett» stimmig interpretiert wurde. Zu diesem Werk sagte die Komposition, dass sie mit hohem Fieber im Bett gelegen und überzeugt gewesen sei, dass sie nun sterben werden. Doch hatte sie in dieser Zeit ein neues Stück für das Dante Quartet zu schreiben, und so schrieb sie diese musikalische Höllenvision, inspiriert von Dantes Schilderung der Hölle in «La Divina Commedia», nachdem sie sich – halb im Delirium – das 13-stündige Hörbuch zu Gemüte geführt hatte.

Zugängliche zeitgenössische Musik

Die Musik von Cheryl Frances-Hoad ist zeitgenössisch, verwurzelt in der musikgeschichtlichen Tradition aber doch frei von Imitationen, dissonant aber keineswegs Zwölftonmusik. Jedes Werk ist anders, eigenständig, farbenreich. Der Brite Benjamin Britten (1913–1976) nennt Frances-Hoad als ein wichtiges Vorbild. Er habe für das Royal Opera House geschrieben, aber auch für die Leute im Dorf. Als Komponistin möchte sie nicht in einem Elfenbeinturm leben, sondern Musik komponieren, die für die Menschen zugänglich sei, sagt die Künstlerin und hofft, ein breites Publikum ansprechen zu können.

Und nun hat sie in Ernen ihre eigenen Stücke gehört, die sie jahrelang nicht mehr gehört hatte. Sie sei schon etwas stolz, es sei fantastisch, wie die jungen Musizierenden ihre Werke gespielt hätten, mit grosser Seriosität und Freunde. Es gäbe für sie im Moment nichts Schöneres. Was sie persönlich in Ernen erlebt und gehört habe, mache sie nachdenklich und erinnere sie an ihre Anfänge, dorthin, wo sie wieder anknüpfen möchte, weil ihr Frühwerk von einer Dringlichkeit beseelt sei, ihr Inneres nach Aussen gestülpt wurde, Töne statt Worte, eine Art Tagebücher. Sie hätte in letzter Zeit sehr viel zu tun gehabt und wenig Zeit, wirklich zu sich zu finden. Das müsse sich ändern.

Das fulminante Ende

Es war die 22-jährige Spanierin Laura Mota Pello, die uns in ihrem Matinée-Rezital mit feurigem Anschlag durch den Morgen mitzog. Neben Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert war sie bei Manuel de Falla (1876–1946) mit der «Fantasia bética» total im Element. Es war eine Reise in die Tiefe der Kultur Spaniens.

Den Schluss machte dann das Wendel Quartett, etwas vom Feinsten, das in diesen Tagen zu hören war: musikalisch auf höchstem Niveau, stimmig und fast verschwörerisch im Auftritt, sie spielten sich die Töne zu, hörten aufeinander, beim Briten Frank Bridge (1879–1941), beim französisch-schweizerischen Komponisten Richard Dubugnon, geboren 1968 in Lausanne, und beim Franzosen Gabriel Fauré (1845–1924).

Die beiden Italiener Matteo Cimatti (Violine) und Francesco Granata (Klavier) waren schon an und für sich ein perfektes Duo, aber ergänzt zum Quartett wurden sie mit den beiden Frauen Elisa Hiron (Viola) und Jiayi Liu (Cello). Alle gaben Alles! Was für ein Vergnügen. Sie verströmten eine spielerische und auch fröhliche Energie, und es ist kaum zu glauben, dass sie erst seit eineinhalb Jahren zusammenspielen. Und auch sie trafen sich nach ihrem Auftritt mit Cheryl Frances-Hoad auf dem Dorfplatz, bevor es nach Hause ging….

Und jetzt ist Ernen wieder ein ganz gewöhnliches Bergdorf, die Musikerinnen und Musiker sind abgereist. Zurück bleiben unendlich viele Eindrücke, musikalische, persönliche, freundschaftliche. Und es bleibt einem nichts anderes übrig, als auf das 53. Festival im Musikdorf zu warten – gespannt, was sich die Leitenden des Festivals wieder ausdenken. Eines ist sicher: es wird auf jeden Fall spannend und abwechslungsreich werden. Man darf sich jetzt schon freuen.

Madeleine Hirsiger, Ernen 15. September 2025

Zurück