Unerhörtes im Musikdorf

Was für ein Debut! Zum ersten Mal war im Musikdorf ein Saxophonquartett zu hören. Die vier jungen Musiker aus Barcelona begeisterten das Publikum mit einem abwechslungsreichen Programm von Franz Schubert bis Georg Friedrich Haas.

Wie Schuppen von den Ohren (!) fiel es denjenigen, die vor dem Auftritt des Kebyart Ensemble noch nie ein Saxophonquartett gehört hatten. Die klangliche Flexibilität des Saxophons wurde bereits von Hector Berlioz hochgeschätzt, so überrascht es nicht, dass heute – knapp 180 Jahre nach seiner Erfindung – die Instrumente ein enormes Potential an Klangfarben besitzen. Die vier Spanier – die zurzeit an der Musikakademie Basel studieren – wussten die Möglichkeiten ihrer Instrumente voll auszuschöpfen. Das Quartett aus Sopran-, Alt-, Tenor-, und Baritonsaxophon wechselte virtuos zwischen glatt-homogenem und farbig-charakteristischem Klang.

Das Konzert des Kebyart Ensembles, das zweite der Reihe «Newcomers», wurde mit der Adaption des Streichquartetts Es-Dur von Franz Schubert – von diesem als Sechzehnjähriger für das häusliche Quartettspiel komponiert – eröffnet. Radikal wurden die verschiedenen Klangwelten des Werks nebeneinandergestellt. Choralartige Passagen wurden mit einem glatten, homogenen Klang gespielt, wie es von Streichquartetten kaum realisierbar ist. Die starken Akzente behielten jederzeit die nötige Sensibilität und die gesanglichen Qualitäten Schuberts kamen besonders zum Ausdruck. Am meisten beeindruckte aber die agogische Flexibilität der vier jungen Musiker: Jede neue Phrase wurde organisch – über den gemeinsamen Atem, wie von einem einzigen Lebewesen – gestaltet, man hielt gemeinsam inne und schuf damit den Raum, in dem die aussergewöhnlichen Momente der Musik entstehen.

Am Puls der Zeit
Aufhorchen liess auch das Saxophonquartett (2014) von Georg Friedrich Haas. Der Kontrast zu Schubert hätte grösser kaum sein können: Mit schnellen Tonrepetitionen, die sich rhythmisch, dynamisch, tonal und mikrotonal veränderten, entstand ein farbiges und wildes Klanggeschöpf, als wäre es ein lebendiges Wesen, das nicht zu bändigen ist. Die Virtuosität der Interpreten konnte verschiedenste Formen annehmen, von rasenden Mikrotonskalen und Mehrklängen bei Georg Friedrich Haas bis zum ausgeprägten Humor sowie dem Spiel an der Grenze der Hörbarkeit im Petit quatuor pour saxophones (1935) von Jean Françaix.

Am selben Tag hatte auch das Duo Percussion CYti sein Debut in Ernen – und auch hier gab es vielerlei Spannendes zu hören. Herausragend virtuos war das Stück Silence must be! (2002) von Thierry De Mey. Hierbei präsentierte sich die ausgebildete Perkussionistin Chiao-Yuan Chang mit teilweise polyrhythmischen oder sich phasenverschiebenden Bewegungen – quasi pantomimisch – während Till Lingenberg an einem Tisch voll ungewöhnlicher Klangquellen sass und Changs Bewegungen simultan akustisch mitzeichnete.

Die Reihe «Newcomers» und damit auch der Festivalsommer 2019 fand einen intimen Abschluss in den Konzerten des Duos Valmore und des Opalio Trios. Im neuen Übungslokal beim Spielplatz konnten die jungen Musiker*innen ganz nahe – in gefühlter Wohnzimmeratmosphäre – erlebt werden. Die Violinsonaten aus dem frühen 20. Jahrhundert als auch die Klaviertrios von Haydn und Brahms waren hier also echte Kammermusik!

Ernen, Sonntag, 15. September 2019, von Jonathan Inniger

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