Auf fünf Flügeln …

… zu Sternstunden der Musik.

Mit «Les Adieux», der Klaviersonate in Es-Dur op. 81a, von Ludwig van Beethoven hatte er sich 2020 verabschiedet.

Und was war das für ein Wiedersehen beim diesjährigen «Klavier kompakt» in Ernen! Gleich auf fünf verschiedenen Flügeln präsentierte Sir András Schiff uns (s)einen musikalischen Kosmos. Immer im und mit Bezug auf Johann Sebastian Bach, dem «Gottvater» (Originalton Sir András) der abendländischen Musik.

Zunächst wurden für uns die Klangunterschiede der fünf Instrumente so besonders hörbar. Dann aber wurde durch seine Einführungen und Kommentare zu den Komponisten und ihren Werken nachvollziebar und in der Interpretation der Klavierwerke hörbar, wie die jeweiligen Komponisten auf J. S. Bach Bezug nehmen, auf ihm aufbauen, ihn weiterdenken.

Die Reise zu den musikalischen Sternen begann mit Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart, und einem Bösendorfer 280 VC. Bachs «Aria» aus den Goldberg-Variationen bildete den Auftakt zu Klavier kompakt 2022. Und wer Ohren hatte zu hören, wusste spätestens ab hier: Wir sind Teilnehmer eines grossen musikalischen Ereignisses.

Was folgte war eine Einführung in die Geschichte des Klavierbaus an ausgewählten Exemplaren: Bösendorfer und Bechstein, Pleyel und Blüthner und Steinway, verdeutlicht durch Kompositionen für Klavier von Bach und Mozart, Beethoven und Chopin, Brahms und Robert Schumann und Felix Mendelssohn sowie von Béla Bartók. Sir András führte in seinen Erläuterungen und Kommentaren aus, was das Besondere des jeweiligen Instrumentes sei und warum er dieses Instrument für genau diesen Komponisten ausgewählt habe.

Und die Programme der fünf Konzerte waren dann stimmig (und sinnig) komponiert. Am Mozartabend war dreimal die Tonart (so Bachs Französische Suite Nr. 5 in G-Dur und Mozarts Kleine Gigue in G-Dur sowie Präludium und Fuge in h-Moll von Bach zum Adagio in h-Moll von Mozart) das verbindende Moment. Frédéric Chopins 24 Préludes op. 28 waren gegliedert durch Präludien und Fugen aus J. S. Bachs erstem und zweiten Teil des Wohltemperierten Claviers. Im letzten Konzert am Sonntagnachmittag standen Stücke aus dem Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach ausgewählten Stücken aus Belá Bartóks Für Kinder (Gyermekeknek) gegenüber. Der gleichsam sachlich klare Klang des Steinway verstärkte die Wirkung dieser teils kurzen Stücke. András Schiff führte aus, dass diese Klavierstücke aus Bartóks Sammlungen von Volksliedern hervorgegangen seien. Und so wurden diese Sätze geradezu zu einer Hommage an seine Heimat, die Sir András wegen der dort herrschenden politischen Verhältnisse seit zwölf Jahren nicht mehr besucht hat.

Ein ganz besonderes Konzert – und für mich wohl der Höhepunkt dieses Konzertzyklus aber war das Beethoven-Konzert. Gespielt auf jenem Bechstein aus dem Jahre 1921 aus dem Besitz des grossen Beethoven Interpreten Wilhelm Backhaus. Ein Instrument im Bass etwas weniger voluminös als der Bösendorfer, aber mit einem Diskant, der in meinen Ohren geradezu ideal für die späten Beethoven-Sonaten war. Besonders der dritte Satz «Gesangvoll, mit innigster Empfindung» der Sonate in E-Dur op. 109 klang auf diesem Bechstein für mich schon fast wie aus einer anderen Welt.

Das Konzert begann mit zwei späten Bagatellen gefolgt von Präludium und Fuge in E-Dur von Johann Sebastian Bach. Nach diesem Werk sagte er, das sei schon die Zugabe gewesen. Denn nach der letzten Beethoven-Klaviersonate sei eine Zugabe «ein Sakrileg», so der Originalton von András Schiff.

Dann spielte er die Klaviersonaten op. 109, op. 110 und op. 111 in einem Stück. Am Ende der einzelnen Sonaten schwebten seine Hände über den Tasten und das Publikum wagte fast nicht zu atmen, kein störendes Klatschen (an dieser Stelle ein ganz grosses Kompliment an das wunderbar aufmerksame Publikum!), und dann spielte er gleich die nächste Sonate. So wurde hörbar wie selten in einem Konzert, dass diese drei letzten Klaviersonaten – ein Höhepunkt des «Neuen Testamentes» der Klavierliteratur (so Hans von Bülow) – geradezu ein musikalisches Triptychon bilden.

Ein spannender Hörvergleich dann im letzten Konzert auf dem Steinway, bei dem Sir András die Sonate in d-Moll op. 31 Nr. 2 mit dem Beinamen «Der Sturm» von Ludwig van Beethoven spielte.

Das letzte Wort aber hatte dann Belá Bartók mit seiner Sonate aus dem Jahre 1926. Und als Zugabe «Az éjszaka zenéje» («Klänge der Nacht»), die Nr. 4 aus Szabadban (Im Freien) von Bartók.  

Was für ein grandioser Abschluss!

Brig im September 2022, Engelbert Reul

P. S. Ob auf einem Instrument (oder auf zehn), Sir András Schiff wird bei «Klavier kompakt» 2024 wieder in Ernen gastieren.

P. P. S. Ich hoffe, dass sich in näherer Zukunft die politischen Verhältnisse in seinem Heimatland verändern (Szabadban – Im Freien) und Sir András wieder in Ungarn auftreten kann. Es wäre Ungarn und es wäre Sir András Schiff zu wünschen.

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Anlässlich der Reihe «Klavier kompakt» (26.–28. August 2022) spielte Sir András Schiff fünf Konzerte in der Kirche St. Georg im Musikdorf Ernen. Er spielte jedes der fünf Konzerte auf einem anderen, für die jeweils gespielte Musik ausgesuchten Flügel. Die Programme teilte er dem Publikum erst während der Konzerte mit und verband dies jeweils mit kurzen und prägnanten Ausführungen zu den gespielten Werken. Im Folgenden finden Sie die gespielten Programme.

Klavierrezital 1 | Freitag, 26. August, um 20 Uhr | Bösendorfer-Flügel VC 280

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Aria
aus den Goldberg-Variationen BWV 988

Ricercar à 3 in c-Moll
aus dem Musikalischen Opfer BWV 1079

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Fantasie in c-Moll KV 475

Johann Sebastian Bach
Französische Suite Nr. 5 in G-Dur BWV 816
Allemande – Courante – Sarabande – Gavotte – Bourrée – Loure – Gigue

Wolfgang Amadeus Mozart
Kleine Gigue in G-Dur KV 574

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in h-Moll BWV 869
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 1

Wolfgang Amadeus Mozart
Adagio in h-Moll KV 540

Klaviersonate in D-Dur KV 576
Allegro
Adagio
Allegretto

Sonate für Violine und Klavier in e-Moll KV 304/300c
Allegro
Tempo di menuetto

Violine: Yuuko Shiokawa

 

Klavierrezital 2 | Samstag, 27. August, um 17 Uhr | Bechstein-Flügel aus dem Jahr 1921 (ex. Wilhelm Backhaus)

Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Andante con moto
Allegro
Nr. 1 und 2 aus Sechs Bagatellen Op. 126

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in E-Dur BWV 878
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 2

Ludwig van Beethoven
Klaviersonate in E-Dur Op. 109
Vivace ma non troppo-Adagio espressivo
Prestissimo
Gesangvoll, mit innigster Empfindung

Klaviersonate in As-Dur Op. 110
Moderato cantabile molto espressivo
Allegro molto
Adagio ma non troppo-Fuga. Allegro ma non troppo

Klaviersonate in c-Moll Op. 111
Maestoso-Allegro con brio ed appassionato
Arietta. Adagio molto semplice e cantabile

 

Klavierrezital 3 | Samstag, 27. August, um 20 Uhr | Pleyel-Flügel aus dem Jahr 1848

Frédéric Chopin (1810–1849)
Mazurka in C-Dur Op. 24 Nr. 2

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in C-Dur BWV 846
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 1

Frédéric Chopin
Agitato
Lento
Vivace
Largo
Allegro molto
Lento assai
Andantino
Molto agitato
Nr. 1–8 aus den 24 Préludes Op. 28

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in fis-Moll BWV 883
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 2

Frédéric Chopin
Largo
Allegro molto
Vivace
Presto
Nr. 9–12 aus den 24 Préludes Op. 28

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in Fis-Dur BWV 858
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 1

Frédéric Chopin
Lento
Allegro
Sostenuto
Presto con fuoco
Nr. 13–16 aus den 24 Préludes Op. 28

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in B-Moll BWV 867
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 1

Frédéric Chopin
Allegretto
Allegro molto
Vivace
Largo
Cantabile
Molto agitato
Moderato
Allegro appassionato
Nr. 17–24 aus den 24 Préludes Op. 28

Mazurka in a-Moll Op. 17 Nr. 4

 

Klavierrezital 4 | Sonntag, 28. August, um 11 Uhr | Blüthner-Flügel ca. aus dem Jahr 1859

Johannes Brahms (1833–1897)
Albumblatt a-Moll

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in es-Moll BWV 853
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 1

Johannes Brahms
Drei Intermezzi Op. 117
Andante moderato
Andante non troppo e con molto espressione
Andante con moto

Johann Sebastian Bach
Präludium und Fuge in cis-Moll BWV 849
aus dem Wohltemperierten Clavier Teil 1

Johannes Brahms
Intermezzo in h-Moll
Intermezzo in e-Moll
Intermezzo in C-Dur
Nr. 1–3 aus den Vier Klavierstücken Op. 119

Robert Schumann (1810–1856)
Thema mit Variationen in Es-Dur WoO 24 («Geistervariationen»)

Johann Sebastian Bach
Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903

Felix Mendelssohn-Bartholdy
Variations serieuses Op. 54

Johannes Brahms
Intermezzo in A-Dur Op. 118 Nr. 2

 

Klavierrezital 5 | Sonntag, 28. August, um 14 Uhr | Steinway-Flügel Modell D

Johann Sebastian Bach
Sinfonia in f-Moll BWV 795

Invention in C-Dur
Invention in c-Moll
Invention in D-Dur
Invention in d-Moll
Invention in Es-Dur
Invention in E-Dur
Invention in e-Moll
Invention in F-Dur
BWV 772-779

Béla Bartók (1881–1945)
Nr. 28 Parlando
Nr. 29 Allegro
Nr. 31 Allegro scherzando
Nr. 32 Allegro ironico
Nr. 33 Andante sostenuto
Nr. 35 Allegro non troppo
Nr. 36 Allegretto
Nr. 37 Poco vivace
Nr. 38 [attacca, ohne Angabe]
Nr. 42 Allegro vivace
aus Gyermekeknek (Für Kinder) Sz. 42
(Nummerierung nach dem Erstdruck Teil 1, Budapest 1909)

Johann Sebastian Bach
Duetto e-Moll
Duetto F-Dur
Duetto G-Dur
Duetto a-Moll
BWV 802-805 aus der Clavierübung Teil 3

Béla Bartók
Drei Rondos über slovakische Volkslieder Sz. 84
Andante
Vivacissimo
Allegro molto

Ludwig van Beethoven
Klaviersonate d-Moll Op. 31 Nr. 2
Largo-Allegro
Adagio
Allegretto

Béla Bartók
Klaviersonate Sz. 80
Allegro moderato
Sostenuto e pesante
Allegro molto

«Az éjszaka zenéje» («Klänge der Nacht»)
Nr. 4 aus Szabadban (Im Freien) Sz. 81

Zusammengestellt von Jonathan Inniger

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