Die Schatzsucherin
Die Barockoboistin Xenia Löffler liebt die beinahe surreale Schönheit von Ernen und führt in ihrem Reisegepäck stets Trouvaillen mit, die sie während den Erner Barock-Wochen dem Publikum zur Entdeckung freigibt.
An diesem lichtdurchfluteten Nachmittag schweift Xenia Löfflers Blick weit ins Tal hinunter. Vor dem Hauptportal der Kirche St. Georg geniesst sie noch einige Sonnenstrahlen bis die Probenarbeit beginnt. «Es ist beinahe surreal, wie schön es hier ist», schwärmt die in Berlin lebende Musikerin von Ernen.
Zum fünften Mal ist die gefragte Barockoboistin und Blockflötistin Teil des Ensembles Aernen Barock, das in jeweils fünf Konzerten verschiedenste Facetten der Barockmusik fulminant zum Klingen bringt.
In Ernen ist Xenia Löffler längst keine Unbekannte mehr. Von einer Probenbesucherin wird sie beim Eintreten in die Kirche erkannt und mit Komplimenten zu einem letztjährigen Konzert überhäuft. «Ich bin sehr berührt, was ich in Ernen auch ausserhalb der Konzerte alles erleben darf.» Besonderen Eindruck macht ihr in diesem Jahr ein 101-jähriger Stammgast der Erner Barockwochen, der wiederum extra aus den USA für die Konzerte angereist ist.
Weit schweift Xenia Löfflers Blick auch, wenn es um das Erschliessen von neuem Repertoire geht. Den Ruf als Entdeckerin musikalischer Trouvaillen eilt ihr in der Barockszene weit voraus. In den letzten Jahren durchwühlte sie etwa die historischen Bestände der Dresdner Hofkapelle oder wagte sich an die Erkundung gutgehüteter Schätze der Familie Thurn und Taxis, die auf ihrem Regensburger Stammschloss einige musikalische Kostbarkeiten aufbewahrt.
Wenn Xenia Löffler nach Ernen reist, führt sie jeweils einige musikalische Trouvaillen in ihrem Gepäck mit, die sie das Publikum entdecken lässt. «Wir Musiker*innen des Ensembles Aernen Barock dürfen jeweils Vorschläge einbringen, was gespielt wird. Das Tolle an den Barockwochen in Ernen ist eine gute Mischung aus bekanntem und unbekanntem Repertoire», sagt die wortgewandte Musikerin, die an der Universität der Künste in Berlin eine Klasse für historische Oboen betreut und seit 2001 Solo-Oboistin der renommierten Akademie für Alte Musik Berlin ist. Eine umfangreiche Diskographie rundet ihr künstlerisches Profil ab.
Mit himmlischen Klängen beginnt an diesem Nachmittag die Probe. Die Kantate «Hai finito di lusingarmi» von Agostino Steffani steht auf dem Programm. Die Sängerin Carine Tinney intoniert in hellem Timbre die Anfangszeile. Die Oboistin Xenia Löffler und der Oboist Josep Domènech lassen mit ihren Instrumenten die Phrase nicht unbeantwortet.
Mit Josep Domènech (genannt Pepo) ist ein weiterer renommierter Barockoboist fester Bestandteil des Ensembles Aernen Barock. Im Freiburger Barockorchester spielt er die Solo-Oboe. «Der musikalische und oboistische Austausch mit Pepo sind eine große Bereicherung für mich und wir beide freuen uns immer sehr auf unser Wiedersehen in Ernen. Einen besonderen Reiz hat das gemeinsame Musizieren dadurch, dass wir beide als Stimmführer in unseren jeweiligen Orchestern gewohnt sind, die musikalische Führung zu übernehmen und hier nun gerne dem jeweils anderen den Vortritt lassen wollen» schmunzelt Löffler.
Begonnen hat Xenia Löffler ihre Laufbahn an der Blockflöte. Als Studentin wählte sie an der Schola Cantorum Basiliensis dazu noch die Barockoboe, die schon bald zu ihrem geliebten Hauptinstrument werden sollte. Der Blockflöte blieb sie aber bis heute treu.
Ihr Repertoire erstreckt sich jedoch weit in die Romantik hinein. Nächstens spielt sie mit der Akademie für Alte Musik Berlin die erste Oboe in einer Bruckner-Messe und erst kürzlich erschien ihre Interpretation des Oboenkonzerts von Wolfgang Amadeus Mozart auf CD.
Letztlich ist es dann aber doch die Barockmusik, die Xenia Löffler am meisten in den Bann zieht. Warum gerade Musik aus diesem Zeitalter? «In der Barockmusik sind nicht nur sämtliche Ausdrucksmöglichkeiten vorhanden, sondern es ist auch die Art des gemeinsamen Musizierens, die mir bei dieser Musik am besten gefällt. Es ist Kammermusik in ihrer schönsten Form.»
Ernen 17. Juli 2024, Andreas Zurbriggen (Musikpublizist und Komponist)