Grenzgänge

Wenn ein Musikwissenschaftler eine Lesung eines Buches über Kunst macht...

Das Musikdorf ist mehr als Musik: Kunstausstellungen, Filmvorführungen, Vorträge und natürlich auch Literatur. Seit 2010 findet unter dem Namen «Queerlesen» ein kleines Literaturfestival im Rahmen des Musiksommers in Ernen statt. Wie der Name sagt, stehen Bücher von queeren Autor*innen oder solche rund um das Thema queerness im Fokus. Üblicherweise gibt es an einem Wochenende im Juli drei Lesungen, die von der renommierten Talk-Masterin Bettina Böttinger moderiert werden.

Man kann es schon fast nicht mehr hören – im letzten Jahr verunmöglichte die Pandemie auch das kleine Literaturfestival, das normalerweise im eng besetzten Tellensaal zuhause ist. Nicht nur abstandstechnisch undenkbar – auch hatten die einen oder anderen Involvierten ihre Bedenken oder Vorbehalte geäussert. So wurden die drei Lesungen abgesagt, aber dafür eine andere angekündigt – man zog um nach draussen und hoffte auf schönes Wetter –, denn so ganz wollte man doch nicht auf die Literatur verzichten. Relativ kurzfristig wurde der österreichische Autor Dominik Barta eingeladen, seinen neuen Roman vorzustellen. Kurzerhand wurde ich – zurzeit Assistent im Musikdorf – gefragt, die Moderation zu übernehmen.

Alles verlief gut und ich – der sich vorwiegend mit Musik, nicht mit Literatur beschäftigt – konnte vermutlich die eine oder andere gute Frage stellen, sodass sich ein schönes Gespräch über Bartas Roman «Vom Land» ergab. Es ging um Identität, Familien- und Dorfstrukturen, Vorurteile und vieles mehr. Übrigens: Dominik Barta hat über seine Reise von Wien nach Ernen und zurück auch einen Blog-Eintrag geschrieben, der hier nachzulesen ist.

Auch ein Jahr später ist noch Einiges anders als üblich, und so gibt es auch in diesem Jahr nur eine Lesung, und auch diese wird von mir moderiert. Besprochen wird der neue Roman von Kristof Magnusson, dem deutsch-isländischen Autor, der auch mal eine Ausbildung zum Kirchenmusiker gemacht hatte, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Aber um Musik geht es in diesem Buch nicht, sondern um Kunst, um einen Künstler und um den Förderverein eines Museums.

Die Geschichte, von der man am Anfang meinen könnte, es handle sich um eine – wohlgemerkt sehr kluge – Satire, entwickelt sich immer mehr zu einem dramatischen Krimi über Kunst. Sie spielt in einer Zwischenwelt zwischen Realität und Fiktion. Nicht selten fragte ich mich, der die Welt der Kunst nur immer wieder streift, ob die Figuren, Kunst- oder Bauwerke nun eigentlich auch in der realen Welt existieren oder eben treffend erfunden sind. Die farbige Internet-Suchmaschine schaffte meistens Abhilfe.

Nun moderiere ich also schon bald meine zweite Lesung im Musikdorf Ernen. Kristof Magnusson liest am 25. Juli, um 11 Uhr, im Garten vor dem Bioladen «Waren aller Art», aus seinem Roman «Ein Mann der Kunst».

Ernen, 15. Juli 2021, Jonathan Inniger (Musikwissenschaftler)

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