Singende Orgel
Mit der Aebi-Orgel verfügt die Erner Pfarrkirche St. Georg über ein wahres Klangwunder. In einem Meisterkurs inkl. Abschlusskonzert rückt Prof. Zsigmond Szathmáry das historische Instrument alljährlich ins Rampenlicht. Und dies schon zum 42. Mal.
Die verschiedenen Stimmen müssen wie einzeln gesungen erklingen! Mit diesem Anspruch unterrichtet der gebürtige Ungare Zsigmond Szathmáry auch in diesem Jahr eine internationale Schar an Organist*innen während eines einwöchigen Meisterkurses im Musikdorf.
«Die Einzelstimmen müssen geformt werden, durch Artikulation, durch schwer-leicht, durch kurz-lang lebendig gemacht werden», sagt der Grandseigneur der Organistenzunft auf der Sitzbank vor der Erner Kirche, wo wir uns zum Gespräch treffen.
Zsigmond Szathmáry gehört zu den profiliertesten Organisten unserer Zeit. Er studierte einst bei Grössen wie Helmut Walcha Orgel oder bei Ferenc Szabó Komposition, war Organist in Hamburg und Bremen und über mehrere Jahrzehnte Professor für Orgel an der Hochschule für Musik in Freiburg im Breisgau.
Von dort brachte er in den ersten Jahren Studierende nach Ernen mit und unterrichtete sie auf der delikaten einmanualigen Aebi-Orgel aus dem 17. Jahrhundert. «Diese Orgel ist wie gemacht für deutsche Orgelliteratur aus der Barockzeit», schwärmt Szathmáry.
Ende der 1970er-Jahre lockte Szathmáry die Kunde vom zauberhaften Musikdorf in die Walliser Bergwelt. Wenige Jahre zuvor hatte sein Landsmann György Sebők hier in Ernen mit seinem Meisterkurs das Musikdorf Ernen gegründet. «Leider verpassten wir uns meistens, da mein Meisterkurs erst anfangen konnte, wenn die Kammermusikkonzerte in der Kirche schon zu Ende waren», erinnert sich Szathmáry.
Vor allem Organist*innen asiatischer Herkunft besuchen den Meisterkurs im Musikdorf. «Meine verstorbene Frau war Japanerin. Dadurch bekam ich einen intensiveren Zugang zu den Menschen dieses Kontinents», sagt Zsigmond Szathmáry.
Andächtig lauschen die Meisterkurs-Absolvent*innen den Bemerkungen von Zsigmond Szathmáry auf der Empore der Kirche St. Georg. Abwechselnd spielen sie die Werke, die sie selbst ausgewählt und nach Ernen mitgebracht haben. Es erklingen gerade einige Takte aus der Fuge von Johann Sebastian Bachs «Präludium und Fuge E-Dur» BWV 566.
«Besonders die barocke Musik interessiert meine Meisterschüler*innen.» Um ein breiteres Repertoire unterrichten zu können, werden einzelne Lektionen innerhalb des Meisterkurses an den Orgeln mit zwei und drei Manualen in der Briger Kollegiumskirche und in Naters durchgeführt.
Viele Meisterschüler*innen halten Zsigmond Szathmáry seit Jahren die Treue und reisen stets aufs Neue ins Musikdorf. Eine alljährliche Tradition: der Ausflug während des Meisterkurses. In diesem Jahr ging es (wie schon oft) nach Stresa. «Auf der Rückreise fuhren wir durch die Gondoschlucht und waren beeindruckt von den steilen Felswänden.»
Zsigmond Szathmáry schaut bei unserem Gespräch vor der Erner Pfarrkirche immer wieder ins Tal hinunter und auf die Berge des gegenüberliegenden Aletsch-Gebiets. Wie empfindet er dieses Kontrastprogramm zu seiner flachen ungarischen Heimat? «Die Schönheit der hiesigen Berge ist gewaltig und die 500 Jahre alten Häuser verleihen dieser Region eine ganz eigene Atmosphäre. Man spürt regelrecht die Geschichte dieser Landschaft.»
Eine schier unversiegbare Quelle an musikalischer Neugier und Begeisterungsfähigkeit scheint der vollkommene Musiker Zsigmond Szathmáry, der nebst seiner Tätigkeit als Organist auch Werke für verschiedenste Besetzungen komponiert und arrangiert, sein eigen nennen zu können. Erst recht mit 84 Jahren.
Was er an Ernen und dessen Umgebung ebenfalls sehr schätzt: die Ruhe.
Diese Ruhe sei pure Inspiration für einen Komponisten.
Welche musikalischen Blüten die Erner Ruhe und die Schönheit der Walliser Bergwelt zum Blühen gebracht haben, kann heute Abend im Abschlusskonzert des Orgelmeisterkurses erhorcht werden.
Um 20.00 Uhr in der Pfarrkirche St. Georg. Der Eintritt ist frei. Es gibt eine Kollekte.
Ernen, 18. August 2023, Andreas Zurbriggen (Musikpublizist und Komponist)