Südafrika – Ernen, einfach bitte!

Charl du Plessis feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum im Musikdorf Ernen. Als junger Pianist reiste er an die Meisterkurse von György Sebők, später fing er an, das Erner Publikum mit seinem stupenden Improvisationstalent und Flair für Jazz zu verzaubern.  

Am liebsten würde Charl du Plessis das Musikdorf Ernen gar nicht mehr verlassen und den Wohnsitz von Südafrika in die Schweiz verlegen. Und am liebsten würden wohl auch die Erner Konzertbesucher*innen den Publikumsliebling nicht mehr gehen lassen.

Seit 25 Jahren bringt nämlich Charl du Plessis mit seinen flinken Fingern sowie seinem untrüglichen Gespür für Jazz und Klassik das Erner Publikum zum Staunen.

Es war im Jahr 1999, als Charl du Plessis zum ersten Mal Ernen besuchte – als aufstrebender 22-jähriger Pianist. Drei Wochen lang blieb er damals im Musikdorf, wo er den Meisterkurs des Festivalgründers György Sebők besuchte. «Ich reiste mit Klavierstücken von Rachmaninow, Haydn und Brahms in die Schweiz. Pro Woche wurde an einem Stück gearbeitet», erinnert sich der im südafrikanischen Pretoria lebende Musiker.

Sämtliche Ratschläge von György Sebők notierte sich Charl du Plessis während des Meisterkurses und verarbeitete diese nach und nach. «Einige Anmerkungen leuchteten mir erst Monate später beim Üben am Klavier ein, als ich plötzlich an Sebők dachte und verstand, was er mir beibringen wollte.»

Am Schluss des Meisterkurses wagte Charl du Plessis dem Festivalgründer eine persönliche Frage zu stellen. Und zwar, ob der Meister es verächtlich fände, wenn er, Charl, auch Jazz spiele. Dessen Antwort. «Es gibt Genre-unabhängig nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte.»

Diese Bestätigung des Meisters beflügelte Charl du Plessis, der als jüngster südafrikanischer Pianist aller Zeiten zum Steinway Artist ernannt wurde. Kurz darauf gründete er das Charl du Plessis Trio. «Wir wollten eigentlich lediglich gemeinsam Jazz-Standards improvisieren», erinnert er sich.

Noch im selben Jahr, in dem Charl du Plessis den Meisterkurs besuchte, starb György Sebők. Für ein «in memoriam»-Konzert reiste der südafrikanische Pianist im darauffolgenden Jahr erneut nach Ernen. Francesco Walter animierte ihn bei seinem Aufenthalt, an einem im alten Erner Dorfkern durchgeführten Fest auf einem von der Primarschule geborgten Klavier zu improvisieren – unter freiem Himmel. Mit der deutschen Opernsängerin Simone Kermes, die damals während der Barockwoche im Musikdorf Konzerte bestritt, «jammte» er bis früh in die Morgenstunden hinein.

Die Idee, das klassische Repertoire mit der Sprache des Jazz zu verbinden war somit geboren. Dazu Charl du Plessis: «In den ersten Jahren arrangierte ich für meine mit dem Trio absolvierten Erner Konzerte berühmte Barock-Stücke im Jazz-Stil.» Sein Credo bis heute: «Die Werke müssen bekannt genug sein, damit sich beim Wiedererkennen ein Aha-Erlebnis einstellt.»

Charl du Plessis gehört zum Inventar des Musikdorfs und er strahlt einen ewig jugendlichen Elan aus. Seine in Ernen zu Gehör gebrachten Arrangements haben längst die Grenzen der Barockmusik verlassen und speisen sich aus dem Repertoire der Klassik ebenso wie aus dem Repertoire moderner Evergreens aus der Welt der Chansons, Operetten und Opern.

Legendär sind auch die Solo-Rezitals von Charl du Plessis. Ein nächstes steht am Montag, 29. Juli, auf dem Programm. Und danach ist das Silvesterkonzert Charls nächster Fixpunkt in Ernen. Bei diesen Konzerten improvisiert der begnadete Pianist über Themen, die ihm vom Publikum vorgeschlagen werden. Bis am 29. Juli können dafür Vorschläge im Festivalbüro eingebracht werden – bis spätestens 30 Minuten vor dem Konzert.

Für Charl du Plessis, der am Grey College, einem angesehenen Gymnasium seiner Heimatstadt Bloemfontein, beinahe akzentfreies Deutsch lernte, ist Ernen zur zweiten Heimat geworden. In seiner Brust schlagen somit nicht nur zwei musikalische Herzen – eines für die Klassik, das andere für Jazz –, sondern auch zwei Herzen, wenn es um die Frage seiner Heimat geht: eines für Südafrika und eines für Ernen.

Ernen, 24. Juli 2024, Andreas Zurbriggen (Komponist und Musikpublizist)

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