«Wir wagen Neues»

Ein musikalisches Joint Venture. Jazzkonzert mit dem Charl du Plessis Trio und der Sopranistin Rachel Harnisch, 22. Juli 2023 

Charl du Plessis und Rachel Harnisch spannten vor sechs Jahren das erste Mal zusammen. Und dies, obwohl sie nicht gerade um die Ecke wohnen: Charl du Plessis (*1977), der einst als jüngster Pianist Afrikas zum «Steinway Artist» ernannt wurde, lebt in Südafrika. Und Rachel Harnisch (*1973), die seit 1995 in über 500 Auftritten von der Schweiz aus die internationalen Konzert- und Opernbühnen erobert hat, in Zürich.

Ohne das Zutun von Francesco Walter wäre die künstlerische Begegnung zwischen den beiden kaum zustande gekommen. In einer schlaflosen Nacht hatte der Intendant des Musikdorfs die verrückte Idee dazu. Er griff zum Telefon und stiess mit seiner Anfrage in Südafrika und Zürich auf offene Geister. «Warum nicht?», meinten die beiden Vielbeschäftigten und sagten zu. Walters Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Der Pianist, der sowohl eine klassische als auch eine Jazzausbildung genoss, begleitete Rachel Harnischs Arien, Lieder und Chansons zusammen mit seinem Trio. Es hörte sich an, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Die Sängerin liess sich mit verführerischen Klangfarben und schauspielerischem Talent auf die swingenden Rhythmen ein. Beim Publikum kam das musikalische Joint Venture so gut an, dass Walter keinen Moment zögerte. Die beiden mussten wiederkehren.

«Non, je ne regrette rien»
Im Jubiläumsprogramm «50 Jahre Musikdorf» werden du Plessis und Harnisch zum vierten Mal gemeinsam auftreten. «Wir wagen Neues», verrät Charl du Plessis. Man habe vieles geprüft und einander Vorschläge unterbreitet. Bis die Wahl schliesslich auf Chansons der französischen Sängerin Edith Piaf (1915–1963) fiel. Deren Balladen «La vie en rose», «Milord» und «Non, je ne regrette rien» sind längst Klassiker, die um die Welt gingen. Einen Teil der Verse ihrer Chansons hat Piaf selbst verfasst. Sie lassen die Tragik ihres Lebens erahnen und ihren Kampfgeist: Nein, ich bedauere nichts. Weder das Gute, das man mir zukommen liess, noch das Schlechte. All das ist mir ganz egal. Ich habe bezahlt, es vom Tisch gewischt, vergessen. Die Vergangenheit ist mir egal. Mit meinen Erinnerungen habe ich das Feuer angezündet. Meinen Kummer, mein Vergnügen. Ich brauche euch nicht mehr. (…) Ich beginne bei Null.

Das Glück mit Tränen bezahlt
Singen bedeute für sie Flucht in eine andere Welt, sagte Piaf einmal. Sie stehe dabei nicht mehr auf dem Boden. Man glaubt ihr aufs Wort. Wenn die kaum 1 Meter 50 grosse Frau ihren Mund öffnete, und zu singen begann mit einer Kraft, die man in diesem zierlichen Körper nie vermutet hätte, dann begannen auch die Zuhörerenden abzuheben. Oder zumindest den sicheren Grund unter den Füssen zu verlieren. So viel Schmerz spiegelte sich in Piafs Stimme! Die Schwere ihrer Existenz, das Leid und die Verletzungen, die sie erlebt hatte: «Ich glaube, das wirkliche Glück muss man mit Tränen bezahlen», sagte sie.

Gänsehaut garantiert
Rachel Harnisch wird sich Piafs gesungene Bekenntnisse einverleiben und sie auferstehen lassen. Mit ihrer eigenen charismatischen Ausdruckskraft. Gänsehaut garantiert. Es dürfte nicht der einzige Höhepunkt sein, den du Plessis und Harnisch vorbereiten. Da steckt noch ein weiterer Pfeil im Programmköcher. Auch der dürfte beim Publikum emotional ins Schwarze treffen: Die Chansons und Lieder der Frida Boccara (1940–1996). Die französische Sängerin und Schauspielerin jüdischer Abstammung genoss vorab in Frankreich und Spanien grosse Popularität; erste Erfolge verbuchte sie 1960 als Gewinnerin beim Rose-d’Or-Festival in Antibes, sowie einige Jahre später als Gewinnerin des Eurovision Song Contest, bei dem sie mit dem Chanson «Un jour, un enfant» punktgleich mit drei weiteren Sängerinnen den ersten Platz belegte. (Da damals ein Reglement für einen Gleichstand fehlte, wurden alle vier Länder zu Gewinnern erklärt.)

Geschrieben im Dezember 2022, von Marianne Mühlemann

Hier geht es zu allen Jazzkonzerten des Sommers 2023

Hier finden Sie ein Video vom Konzert des Charl du Plessis Trio vom Juli 2021

Hier finden Sie die Dokumentation mit Ausschnitten von den Aufnahmen des Trios in Ernen im Juli 2016 (Claves Records)

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