Rituale für alle Sinne | Die 52. Konzertsaison 2025

Sie kommen jedes Jahr nach Ernen, seit vielen Jahren schon? Wunderbar! Dann ist der Festivalbesuch im Musikdorf für Sie zum sommerlichen Ritual geworden. «Rituale» lautet das Thema der diesjährigen 52. Festivalausgabe.

Nicht nur Ihr Alltag, liebe Konzertbesucher*innen, ist geprägt von Ritualen. Auch das klassische Konzert wird oft als Ritual mit festen Regeln zelebriert. Als erfahrene Musikliebhaber*innen ist Ihnen das vertraut. Nach Konzertbeginn ist der Einlass bis zur Pause nicht mehr möglich. Handys sind auszuschalten und Essen und Trinken während des Konzerts unerwünscht. Anders als früher ist der Dresscode im Klassik-Konzert aber nicht mehr so streng. In Ernen sowieso nicht: Da ist man auch im Freizeittenue und mit Wanderschuhen willkommen. Erwartet wird aber wie anderswo, dass man während des musikalischen Vortrags ruhig ist. Und zwischen den Sätzen wird nicht geklatscht, auch wenn man von einer Interpretation so begeistert ist, dass man von der Kirchenbank springen möchte. Der Schlussapplaus darf dafür umso herzlicher sein – auch Standing Ovations sind in der Kirche St. Georg erlaubt.

Abschaffen – oder doch nicht?
Wer die Dramaturgie eines Konzertrituals kennt, fühlt sich im Konzert geborgen. Wer es nicht kennt, weniger. Das Unbehagen, nicht richtig dazu zu gehören, kann dann sogar den Hörgenuss beeinträchtigen. Was tun? Sind Rituale im klassischen Konzertbetrieb ein Auslaufmodell? Über die Abschaffung wird längst diskutiert. Neue Konzertformate, die mit den tradierten Ritualen brechen, sollen Schwellenängste abbauen und für ein neues, jüngeres Publikum sorgen.

Satzzeichen im Lebensfluss
Fakt ist: Rituale sind nicht per se schlecht. Im Gegenteil. Der Mensch braucht Rituale. Und ohne Musik sind Rituale oft nicht denkbar. Sei es bei Hochzeiten, Trauerfeiern, in Gottesdiensten oder an Volksfesten – Rituale und Musik gehören zusammen. Rituale sind Satzzeichen im Lebensfluss. Sie schaffen Struktur und geben Halt. Das fühlt sich gut an. Gerade in unsicheren Zeiten.

Von Kaffeebohnen bis Ölsardinen
Es gibt zahlreiche Anekdoten, die belegen, dass viele Musiker*innen kleine Rituale pflegen und pflegten. Der Komponist Erik Satie etwa hat seine exzentrischen Rituale bis ins Detail dokumentiert. Er begann stets um 19.16 Uhr mit dem Abendessen und beendete es Punkt 19.20 Uhr. Darf man Saties Aufzeichnungen Glauben schenken, dann hat er dabei nur weisse Speisen zu sich genommen. Während des Essens habe er nie gesprochen. Aus Angst, sich zu verschlucken und zu ersticken. Johannes Brahms trank jeden Morgen starken, selbstgebrauten Kaffee und ging in der Wohnung umher, während sein Stück in Gedanken Form annahm. Sein Protegé Antonin Dvořák pflegte ein «Motivationsritual»: Um in Komponierlaune zu kommen, beobachtete er Züge. Er war geradezu besessen von Eisenbahnen, bereits seit der Kindheit in Nelahozeves. Da wurde vor seiner Haustüre eine Eisenbahnlinie gebaut.

Auch Beethovens Morgenritual drehte sich um den Kaffee. Er zählte Kaffeebohnen. Genau 60 mussten es sein für die Zubereitung einer Tasse. Er sei dabei pingelig gewesen und habe keiner Waage vertraut. Bei der kleinsten Unsicherheit habe er die Bohnen lieber ein zweites Mal gezählt. Die Leidenschaft für Kaffee brachte Beethoven 1792 aus Bonn, seiner Geburtsstadt, mit nach Wien. Er notierte 1793, dass er die wenigen Kreuzer, die er besass, gelegentlich ausgab für Kaffee und Schokolade, die er zum Unterricht bei Haydn mitbrachte.

Ankommen bei sich selbst
Rituale kennen auch die Musiker*innen, die in Ernen auftreten. Die kanadische Pianistin Angela Hewitt verrät im Interview, sie esse regelmässig Ölsardinen, die seien gut für ihr Gedächtnis (Goldberg-Variationen!). Und Sir András Schiff setzt sich jeden Morgen als erstes ans Clavichord und spielt Bach. Im Musikdorf werden Sie weiteren kleinen Ritualen und Routinen begegnen. Es gibt sie hinter, vor und auf der Konzertbühne, in und rund um Ernen. Tauchen Sie ein, die musikalischen Rituale werden Ihnen mit jedem neuen Konzerttag helfen, anzukommen. Im Musikdorf – und bei sich selbst.

Entdecken Sie das vielfältige Saisonprogramm!

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